Aberystwyth
Hier fing alles an. An einem stürmischen Septembernachmittag stand ich auf den Klippen oberhalb der Küstenstadt an der Irischen See. Ich war damals auf der Suche nach einer Universität, an der ich für meine Doktorarbeit forschen konnte. Der Regen peitschte die Gischt vom Strand zur Straße herauf, graue Wolkenbänke zogen über den Himmel und auf dem Hügel vor mir thronte die National Library of Wales. Entlang der Uferpromenade zogen sich bunte Ferienhäuschen und auf dem kabbeligen Wasser des kleinen Hafens tanzten Boote. Es war Liebe auf den ersten Blick. Ich weiß noch, dass ich hoffte, es möge mit der Stelle am Institut passen. Es passte und ich blieb fünf Jahre in Wales, hängte noch eines dran und schrieb dort meinen ersten Roman „Die Frau aus Martinique“.
Natürlich ist Aberystwyth einer der Schauplätze in diesem Roman. Und ich glaube, dass der Leser meine Begeisterung für diesen wildromantischen Landstrich in Großbritanniens Westen spürt.
Aberystwyth hat den Charme einer Kleinstadt, profitiert im Sommer vom Tourismus und das ganze Jahr über von den Studenten der Universität. Die Stadt schmiegt sich in eine Bucht, hat einen kleinen Hafen und eine lange Promenade, auf der man hervorragend joggen kann. Manchmal bin ich auch den Constitution Hill, am nördlichen Ende der Promenade hinaufgelaufen. Auf dem Hügel, dessen Gipfel man ohne Anstrengung auch mit einer kleinen Zahnradbahn erreicht, kann man wundervolle Sonnenuntergänge und den Blick über die gesamte Bucht genießen.
Die Universtity of Wales, zu der auch Aberystwyth gehört, ist auf verschiedene alte und neue Gebäude im gesamten Stadtgebiet verteilt. 1860 gegründet, suchte man für die junge Universität ein günstiges Gebäude und fand es in einem prachtvollen Neo Tudor Bau an der Promenade. Dieser schlossartige Bau beeindruckt noch heute und ist den gescheiterten Träumen des Eisenbahningenieurs Thomas Savin zu verdanken. Savin glaubte Mitte des 19. Jahrhunderts, dass Aberystwyth mit einer Eisenbahnanbindung und einem prächtigen Hotel bald ein mondänes Kurbad werden könne. Nachdem er beides verwirklicht hatte, war er finanziell ruiniert, doch das Luxushotel wurde zum Sitz der Universitätsverwaltung.
Die Hotels entlang der Promenade wirkten lange leicht heruntergekommen, wurden jedoch in den letzten Jahren fast alle renoviert. Wer einen Abendspaziergang am Meer macht, sollte einen Drink in der Bar des Bellevue Hotels einnehmen. Wenn man draußen sitzt, hört man das Rauschen des Meeres und manchmal sitzt ein Straßenmusikant auf einer der Bänke und gibt einen Folksong zum besten. Musik wird überhaupt in vielen Pubs oft live gespielt. Es lohnt sich immer, die Ankündigungen durchzuschauen oder einfach in „Rummers“ ein Pint Lager am Tresen bestellen und sich vom bunten Treiben mitnehmen lassen.
Für Ausflüge in die Umgebung benötigt man ein Auto, aber die Stadt kann man wunderbar zu Fuß erkunden. Es gibt viele kleine Läden, in denen es sich zu stöbern lässt, Cafés und vor allem das Tree House. Unten wird im Bioladen Frisches aus der Region verkauft und im ersten Stock kann man in einem kleinen Restaurant hervorragende Kleinigkeiten essen. Alle Speisen sind hausgemacht und selbstverständlich „organic“.
Ich habe mich in Aberystwyth vom ersten Tag an wohl gefühlt. Warum ich mein Herz an Wales verloren habe, werde ich oft gefragt. Das Wetter kann es nicht sein, obwohl es etwas milder ist als bei uns an der Nordseeküste. Schafe haben wir hier auch reichlich. Allerdings gibt es in Wales keine Weidezäune für die Schafe. Irgendwie ist alles ein wenig unkonventioneller, das Leben entschleunigt, die Menschen freundlich und hilfsbereit. Und die abwechslungsreiche Landschaft hat es mir einfach angetan!
Im Hinterland sieht man grüne Hügel mit schroffen Felskuppen, an der Küste Klippen aber auch Sandstrände, und ein weitläufiges Netzwerk von Wanderwegen durch die Nationalparks. Naturschutz wird großgeschrieben und die Orte haben sich ihren Charme bewahren können. Kleine bunte Cottages an der Küste und in den Bergen Häuser aus Naturstein.
Der Maler William Turner (1775 – 1851) ließ sich von Wales zu einer Serie von Aquarellen inspirieren und schrieb 1847 an seinen Malerfreund Hawksworth Fawkes als dieser nach Aberystwyth fahren wollte: „Die Landschaft ist sehr schön und hat grandiose Züge… Ich glaube nicht, dass sie für ihren Stift einen ansprechenderen Ort finden könnten und hoffe, dass Sie sich dort wohl fühlen werden wie ich in den Tagen meiner Jugend…“ (in Hofmann: William Turner und die Landschaft seiner Zeit, München 1978)